Die Kunst der Zuversicht

Meine Freundin P. hat mir dieses kleine Büchlein letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt. Lange ist es rumgelegen. Den Titel jedoch immer im Auge behalten und zuversichtlich das Lesen auf später verschoben. Diese Zeilen sind für mich eine wunderbare Inspiration, die sehr gut in das fragile Zeitgeschehen des grossen Weltenwandels hineinpassen.

„Liebe Enkel oder die Kunst der Zuversicht“ von Gabriele von Arnim.

Man könnte verzweifeln an der Welt, wie sie ist, sich die Ohren zuhalten, die Augen, den Mund und still erleiden, was die Nachrichten uns Tag für Tag in den Kopf und ins Herz spülen. Die Weltwirklichkeit ist voller Abgründe, in den wir jeden Tag schauen und in dem wir unsere Zerbrechlichkeit finden, dort in der tintendunklen Tiefe.

Was für ein schräger Anfang, denkt Ihr jetzt vielleicht, was für mutmachende erst Worte, in dem ich Euch doch etwas über Zuversicht erzählen will.

Aber, liebste Enkel und liebe andere, die Zuversicht ist für alle. Vielleicht ist es gar nicht so falsch, die dunkle Seite der Gegenwart zu skizzieren, bevor wir uns dem Ringen um den Glauben an die Möglichkeit einer besseren Zukunft zuwenden.

Zuversicht heisst nicht in eine Nussschale zu steigen und in See zu stechen, denn Zuversicht hat viel mit Mut, aber nichts mit Uebermut zu tun und auch nicht mit Naivität. Ein Mensch mit Zuversicht sieht und erkennt die Wirklichkeit wie sie ist und ist trotzdem oder gerade deshalb entschlossen die Welt, oder den kleinen Ausschnitt von ihr, so mitzugestalten, dass sie wird, wie sie sein sollte und sein könnte. Wie wird die Welt aussehen, die Eure sein wird? Wie wollt Ihr sein in ihr, die sie Euch vermutlich mehr Unsicherheit als Gewissheit bieten wird? Und heute hat ein türkischer Taxifahrer mit genau denselben Worten die „Gemütlichkeit“ der Jugend angeprangert. „Sie wollen nicht mehr so arbeiten, wie wir es noch getan haben, sie wollen nicht mehr nach vorne denken“, hat er gesagt. Und auch Du, liebster Enkel, hast erzählt, dass Du viele Gleichaltrige kennst, die wenig Lust auf andere Meinungen haben, die sie als unbequem empfinden, weil sie vielleicht neu nachdenken müssten.

Und so kann ich doch an die Welterneuerung genauso glauben, wie an den Weltuntergang. Es könnte doch sein, dass wir nun in die Phase des wirklichen Denkens kommen, eintreten dürfen in einen Palast und darin die Notwendigkeit der Umkehr erkennen und den Weg zur Rettung finden. Und das geht nur mit Zuversicht.

Bleiben wir aber noch bei der Hoffnung, die immer wieder im Zusammenhang mit Zuversicht auftaucht. Mit der ich oft hadere, von der ich mich betrogen fühle. Dann schimpfe ich wie eine miese Verräterin. Wie habe ich gehofft, dass M. gesund wird, stattdessen wurde er immer schwächer und starb. Ja, ich habe gehofft, was hätte ich denn sonst tun sollen. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagte M. Na super, ich sterbe und die Hoffnung lebt immer noch. Nicht mein Ding.

Als ich eine ältere Buddhistin nach Zuversicht fragte, lächelte sie ein wenig erhaben und meinte: „Zuversicht heisst nicht, die Welt bewahren zu wollen, wie sie ist, sondern die Kraft zu haben mit den Veränderungen umzugehen, mit Unbestand und Neubeginn. Zuversicht muss man nicht lernen und einüben wie etwas Fremdes. Wir müssen nur wahrnehmen, was wir in uns haben, müssen Zuversicht wieder zulassen.“

Ich habe schon immer Menschen darum beneidet, die in ihrem Glauben Schutz finden. Eigentlich müssten wir jetzt noch von der biblischen Apokalypse reden. Dass die alte Welt untergehen muss, um der Welt Gottes Platz zu machen. „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen…“ Aber das besprechen wir später mal. Wir anderen, die nicht Gott huldigen, müssen uns unser eigenes Glaubensbekenntnis fertigen. Zukunft und Zuversicht bekunden, in dem Wissen, dass es eine gute Zukunft nur mit Zuversicht geben wird.

Zuversicht ist für meine Freundin V. unser innerster Kern, den wir wahrnehmen, und ist für mich das trotzige Dennoch, das wir füttern müssen. Ist die Lust immer Neues in der Welt und in sich zu entdecken, aus dem Gewohnheitsdenken auszubrechen, die emotionale und sinnliche Intelligenz zu leben.

Vaclav Havel, der grosse tschechische Politiker und Dichter, hat einmal gesagt: „Hoffnung ist nicht die Ueberzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Darum geht es, einen Sinn im eigenen Leben und Tun zu finden.

Lasst mich enden mit einem Zitat von Albert Camus: “ In den Tiefen des Winters erfuhr ich schliesslich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt“.

Die Welt mit ihren Herausforderungen wahrnehmen und trotzdem gern und engagiert in ihr leben. Zart sein mit sich und anderen Kreaturen. Nicht weggeblasen zu werden, sondern blühend standzuhalten und zu wachsen. Das ist die grosse Kunst.

Seid in diesem Sinne zuversichtlich umarmt.


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